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1. Herbstblatt

Ist Herbst, der Tagzeit schluckt und Winde schickt.
Vorbei und aus ist es mit langen Tagen;
uns schützt ein hochgeschlagner Mantelkragen,
freut jeder Gang, der vor den Schauern glückt.

Am Gartenzaun hab ich sein Bild erblickt.
Ich wusste gleich, er wollte uns was sagen.
Den Kürbis haben wir ins Haus getragen,
nachdem wir uns nach ihm, dem Herbst, gebückt.

Wie glänzt der Saft in all den prallen Trauben,
die wir mit unsren Händen eifrig klauben,
die den Geschmack uns auf der Zunge süßen!

Im Haus befeuern wir die Kachelöfen,
Geschäftigkeit dringt von den Bauernhöfen
auf reife Felder, die mit Früchten grüßen.


2. Herbstblatt

Auf reife Felder, die mit Früchten grüßen,
zieht grauer Dunst. Man harkt und fegt die Wege.
Durch Straßen lärmt das Kreischen einer Säge.
Den Nachbarn höre ich im Garten niesen.

Ich rufe „Prost“ und „Lass dich nicht verdrießen!“
„Da sachste watt!“ erwidert dieser träge.
Ob ich ihm ein paar Goldrenetten lege
auf seinen Gartentisch, so zum Genießen?

Da finde ich des Nachbarn Koriander
vor meiner Tür. Ein solches Miteinander
ist wie zwei Flüsse, die zusammenfließen,

um bündig in Gemeinschaft sich zu rühren.
Da ist nicht nur der Dank ans Jahr zu spüren,
wenn Feuer über Schollen sich ergießen.


3. Herbstblatt

Wenn Feuer über Schollen sich ergießen,
verstaut der Mensch in seinen Magazinen,
dank  guter Dienste seiner Frühlingsbienen,
Erträge, rupft mit Spangen und mit Spießen
                       
an Bäumen und am Kraut. Die Triebe schießen
nicht mehr, sie welken, wo sie einst erschienen
am Boden, der, der uns versprach, zu dienen
und dessen Pflanzen Früchte uns verhießen.

Was hängen bleibt, das holen sich die Raben,
die Mäuse ernten, was nicht ausgegraben,
ein Eichhorn sammelt, was kein andrer pflückt.

Gefüllt ist jetzt nicht nur das Regenfass,
bemerken wir im Abendlicht und dass
die letzte Sonnenblume trunken nickt.


4. Herbstblatt

Die letzte Sonnenblume, trunken, nickt.
Sie findet dort am Feldrain dürftig Halt.
Noch schützt vor Wind das Blattwerk aus dem Wald.
Ein Fink hockt obenauf und pickt und pickt.

Ganz plötzlich ist sie einfach umgeknickt, 
hat sich zum braunen Laub gesellt. Schon bald 
streift Frost die letzten Reste, lautlos, kalt, 
beißt in die Wangen uns und kneift und zwickt.

Der Überfluss bewirtet Mensch  und Tier,
ist Sättigung, Essenz und  Elixier,
ist aller Arbeit Lohn, der uns erquickt.

Nun ist es Zeit, den Zwiebelzopf zu flechten,
ist Zeit für Kerzenlicht und -schein in Nächten,
ist Zeit zu gehen. Sommer wirkt entrückt.


5. Herbstblatt

Ist Zeit zu gehen. Sommer wirkt entrückt,
von Norden naht das Jahresend mit Macht.
Wir zählen bis dahin sechs – sieben - acht –
zehn Wochen noch. Es scheint verhext, verrückt:

Kaum kam er an, hat er sich gleich verdrückt.
Neun Monde Winter, heißt es, tiefe Nacht,
dazu drei Monde ohne Sonnenpracht,
das sei, was unsre deutsche Heimat schmückt.*

Das mag so sein und dennoch schrieben
die Deutschen stets, dass sie ihr Deutschland lieben,
durchlitten tapfer mit ihm alle Krisen.

Wenn wir den Querschnitt durch die Jahre machen,
ists hier wie dort: Wir leben, lieben, lachen,
wie auch die Regenwolken uns verdrießen.


6. Herbstblatt

Wie auch die Regenwolken uns verdrießen -
ich spüre keine Trübsal, fühle Dank
beim  Äpfelschälen auf der Ofenbank;
ein Kätzchen schnurrt, es ruht zu meinen Füßen.

Die Tropfen trommeln munter auf Markisen
und jeder hat so seinen eignen Klang.
Ein Amselmännchen übt den Herbstgesang,
lässt, so wie ich, den Tag sich nicht vermiesen.

Als aus dem Dorf die Abendglocken tönen,
bin ich mit Nachbars Edelgard am Klönen
Sie meint: Die Apfelernte sei gepriesen.

Da reiche ich ihr noch ein paar Renetten,
um sie vorm ersten Winterfrost zu retten.
Zum Trotz versucht ein Löwenzahn zu sprießen.


7. Herbstblatt

Zum Trotz versucht ein Löwenzahn zu sprießen
Er reckt die zarte Blüte hoch ins Licht.
Geschafft, denk ich, hat manche Pflanze nicht,
wie dieses kleine Kraut, emporzuschießen.

Nicht immer sind die größten Helden Riesen.
Die sind nur hoch, versperren dir die Sicht,
erdrücken dich mit Wucht, wie Bleigewicht.
Jedoch: Sie reichen nicht heran an diesen.

An diesem Löwenzahn, der nochmals blüht,
freut sich mein Herz, erfreut sich das Gemüt,
bis ihn der gnadenlose Nordwind pflückt.

Wie Ditfurths Apfelbaum, der allem trotzt,
nutzt er die Kraft, die in ihm wohnt und strotzt,
hat seine Blütenreste lichtbestückt.


8. Herbstblatt

Hat seine Blütenreste lichtbestückt
der alte Zausel, den es jetzt verweht,
der nicht zum ersten Male von uns geht,
der dieses Loch, das bleibt, mitnichten flickt!

Ich weiß ja, dass ihn Fernweh plagt und drückt.
Auch hat er sich ein paar Mal umgedreht,
mit Blumen mich um Nachsicht angefleht
und seinen Abgang sonnig überbrückt.

Den Hochzeitsschleier spann er in die Gräser
(Ich hoffe, dass du mir noch folgst, mein Leser)
und ich verfiel dem Charme der eitlen Posen,

hab Ewigkeit erträumt, an ihn geglaubt.
Nun sind die Linden auf dem Hof entlaubt,
wo letzte Woche noch betagte Rosen.


9. Herbstblatt

Wo letzte Woche noch betagte Rosen
am Hauseingang gediehen, an Spalieren,
ragt dorniges Gestrüpp. Entkleidet frieren
dort Ranken, ohne Blüten zu liebkosen.

„Was jammerst du? Kennst du nicht die Prognosen?
Wir müssen unsre Kleidung doch verlieren,
um über Winter zu regenerieren!
Du wechselst ganz bestimmt auch deine Hosen!“

Ich hörte, wie die Zinnien mich schalten:
„Der Sommer lässt mit Jammern sich nicht halten!“
Wie zum Beweis begann ein Sturm zu tosen.

Die Scham stand mir in das Gesicht geschrieben,
wie jenes Feuerrot, in dem die Rosen trieben,
dem Garten Farbe schenkten gleich Pretiosen.


10. Herbstblatt

Dem Garten Farbe schenkten, gleich Pretiosen,
auch Gänseblümchen, Mittagsblumen,
berauschten Kürbisblüten und Legumen
und mittendrin das Leuchten unsrer Rosen.

Ach, gäbe es doch Sonnenlicht in Dosen!
Ich würde für den Winter ein paar Lumen
mir vorratsspeichern, nur so viel Volumen,
wie man so braucht bei Minusgradprognosen.

Da dies unmöglich, hab ich in gescheiter
Voraussicht Kerzen mir gekauft und weiter-
hin Socken, Mützen, einen Schal gestrickt.

Mit diesen schütze ich von Fuß bis Hals
vor Kälte mich, gedenk der Blüten, als
mein Blick sie streifte, glücklich und verzückt.


11. Herbstblatt

Mein Blick: Sie streifte, glücklich und verzückt,
die Sonne, hat den Frühling aufgebahrt,
hat mit dem Freund, dem Regen sich gepaart,
das Feld, Gebüsch, die Bäume fruchtbestückt.

Wir wissen, wenn sich  Dunkelheit verdrückt
und mit ihm frisches Werden offenbart,
dann kommen Lebensgeister neu in Fahrt,
vor denen Mensch wie Tier sich nicht erschrickt.

Die Tage rennen zeitig los, pulsieren,
das ist auch gut so, alldieweil rentieren
wird sich dies Tun, das wissen wir genau.

Der Fahrt im Jahreslauf auf hohen Touren
folgt Innehalten, ordnen wir die Spuren,
färbt Ahornlaub das Beet bedeckt von Tau.


12. Herbstblatt

Färbt Ahornlaub das Beet bedeckt von Tau
und säumen kahle Äste die Alleen,
liegt ein Gewand aus Nebel auf den Seen,
scheint jeder Tag schon vor dem Morgen grau.

Am Straßenrand, die nette Bauersfrau
wippt schon seit Tagen fröstelnd auf den Zehen,
verkauft jetzt heißen Früchtetee mit Schlehen,
friert sich dabei die müden Hände blau.

Der Bauer seinerseits schrubbt schon die Mollen,
in denen Würste sich bald stapeln sollen.
Es naht der letzte Tag der armen Sau.

Nicht nur Vervollkommnung (auch mangels Pflege),
Veredelung gelungen am Gehege
inzwischen, ist dem wilden Bärenklau.


13. Herbstblatt

Inzwischen ist dem wilden Bärenklau,
der unbeachtet bei der Hecke wohnt
und dessen Dolde über dieser thront,
ein Blick gestattet, hoch zum Himmelsgrau.

Er wuchs, verborgen hinterm Drahtverhau;
kein Rasenmäher störte wie gewohnt.
So wurde er mit Fruchtbarkeit belohnt
und weiß: Hier zu gedeihen, das war schlau.

So kann er bis zum Ende diese schöne Welt
betrachten, bis der Frost ihn überfällt
und Schnee und Eis an seine Stelle rückt.

Weil niemand seinem Wuchs entgegenschritt,
war ihm ein langes Sein beschert, somit
ein Rendezvous im Nebeldunst geglückt.


14. Herbstblatt

Ein Rendezvous, im Nebeldunst geglückt,
sei besser als kein Rendezvous im Lenz.
und besser als zur Weihnacht Abstinenz.
Manch einer fühle sich gedemütigt,

meint heute früh mein Nachbar, halbgebückt,
schlurft über Wege seiner Residenz.
Er harkt mit unverminderter  Frequenz,
bemerkt es beinah nebenbei und nickt.

Ein Lachen hat er mir damit entlockt.
Da schaut er auf, hat sich zu mir gehockt
und meint: „Mensch, Mädel, sei nicht ungeschickt!

Genieß das Leben jetzt und aktuell,
bevor es dir wie Sand zerrinnt. Wie schnell
ist Herbst, der Tagzeit schluckt und Winde schickt!“


15. Meistersonett

Oktober

Ist Herbst, der Tagzeit schluckt und Winde schickt
auf reife Felder, die mit Früchten grüßen,
wenn Feuer über Schollen sich ergießen,
die letzte Sonnenblume trunken nickt.

Ist Zeit zu gehen. Sommer wirkt entrückt,
wie auch die Regenwolken uns verdrießen.
Zum Trotz versucht ein Löwenzahn zu sprießen,
hat seine Blütenreste lichtbestückt.

Wo letzte Woche noch betagte Rosen
dem Garten Farbe schenkten, gleich Pretiosen,
mein Blick sie streifte, glücklich und verzückt,

färbt Ahornlaub das Beet, ruht jetzt der Tau.
Inzwischen ist dem wilden Bärenklau
ein Rendezvous im Nebeldunst geglückt.



*(Strophe 5) frei nach einem Zitat von Napoleon: "Überwiegend Winter und den Rest auch keinen Sommer. Das nennen die Deutschen ihr Vaterland."